Münchner Kirchenzeitung zur FA-Gründung

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Auf Einladung der „Freunde Abrahams“
spricht Professor Karl-Josef Kuschel über interreligiösen Dialog.

München, 30.04.02. Unter den Zuhörern meldet sich eine Ordensfrau zu Wort. »In Pakistan bekennt sich eine Muslimin zum Christentum«, berichtet sie von einem ihr bekannten Fall. »Ihre Familie verstößt und enterbt sie, der Bruder gibt ihr zu verstehen, dass er sie eigentlich töten müsste. Was sagen Sie dazu?« Der Angesprochene, Professor Karl-Josef Kuschel, anwortet ohne Ausflüchte. »Die Scharia kennt Regelungen, die uns entsetzen und die wir nicht akzeptieren können«, räumt der Theologe ein. Gleichwohl warnt er davor, sich im interreligiösen Dialog auf Skandale zu konzentrieren: »Sonst sitzt der Gesprächspartner schnell auf der Anklagebank.« Christen wollten ja schließlich auch nicht, dass man ihnen ständig die Kreuzzüge um die Ohren haue.

Kuschel, der in Tübingen Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs lehrt, hat zuvor an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) über die Chancen und Risiken einer Ökumene von Juden, Christen und Muslimen referiert. Mit ihm präsentiert sich an diesem Tag auch die Gesellschaft der »Freunde Abrahams« zum ersten Mal in der Öffentlichkeit. Der Verein wurde im Herbst 2001 an der Abteilung für biblische Theologie der LMU aus der Taufe gehoben. Vorsitzender ist der Alttestamentler Professor Manfred Görg. Die »Freunde Abrahams« haben sich zum Ziel gesetzt, die interreligiöse Verständigung zwischen Juden, Christen und Muslimen auf wissenschaftlicher Grundlage zu fördern.

Dreh- und Angelpunkt ist für den Verein wie für Kuschel Abraham. In ihm sähen Juden, Christen und Muslime den »Vater ihres Glaubens«, so Kuschel. Auf dieser Grundlage sei eine »Ökumene der Kinder Abrahams« möglich und vielerorts bereits Wirklichkeit. Um aber angesichts einer »entsetzlichen Gewaltgeschichte zwischen den Religionen« nicht zu resignieren, empfiehlt Kuschel, sich positive Momente in Erinnerung zu rufen. »Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke«, zitiert er Heinrich Böll. Nötig, so Kuschel, sei eine »abrahamische Spiritualität«: ein radikales Gottvertrauen »aller Vergeblichkeiten des Augenblicks zum Trotz«.

Jürgen-A. Schreiber,
Münchner Kirchenzeitung 5.5.2002