MA NISCHTANA?

WAS MACHT DEN UNTERSCHIED?

Wissenschaftler, die mit dem Alten Orient befasst sind, kommen alle zwei Jahre zu einem großen Weltkongress zusammen. Als ein ganz besonderes Prädikat des „International Congress for the Archaeology of the Ancient Near East“ (ICAANE) konnte bisher stets die Tatsache gewertet werden, dass Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt, besonders aber aus den Ländern des Nahen Ostens, teilnahmen. Aus allen Ländern des Nahen Ostens – was angesichts der politischen Stimmungslage der vergangenen Jahre leider alles andere als selbstverständlich ist. Dies eben macht den Unterschied und zeichnet den ICAANE vor vielen anderen Veranstaltungen zur Region aus. Den Veranstaltern ist gerade dieser Anspruch ein entscheidendes und erklärtes Anliegen. Die gemeinsame Beschäftigung mit der altorientalischen Geschichte soll auch im Sinne einer besseren Zukunft der Region Brücken bauen helfen. 1998 in Rom, 2000 in Kopenhagen und 2002 in Paris konnte man israelische Archäologen zusammen mit palästinensischen, jordanischen, ägyptischen, syrischen, irakischen und iranischen Kollegen hitzige Diskussionen, aber auch private Gespräche in freundschaftlicher Atmosphäre führen sehen.

Der 4. ICAANE ist nun für nächstes Jahr in Berlin geplant. Als Termin war 1.-7. April 2004 vorgesehen. Dabei war den Veranstaltern bei der Planung entgangen, dass das jüdische Pessach-Fest nächstes Jahr am 6. April beginnt. Am Vorabend wird bekanntlich die heilige Seder-Nacht gefeiert, die das wohl wichtigste Familienereignis im jüdischen Jahreslauf markiert. Ma nischtana laila se mi-chol ha-leilot? – ‚Was unterscheidet diese Nacht von allen Nächten?‘ lautet die zentrale Frage, die im Kreis der Familie beim Lesen der Haggadah gestellt und mit der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten beantwortet wird. Ganz unabhängig von der grundsätzlichen Einstellung zur Religion, wird wohl jede jüdische Familie diese eine Nacht besonders in Ehren halten. Es wäre also nicht anders, als wenn man einen Kongress etwa vom 20. – 26. Dezember anberaumt und christliche Teilnehmer eingeladen hätte; oder muslimische Teilnehmer zu einem Kongress während des Festes zum Ende des Ramadan. Faktisch hätte das bedeutet, dass jüdische Teilnehmer vorzeitig abreisen müssten, oder überhaupt nicht zum Kongress nach Berlin kommen würden. Wie also würde sich dieser Kongress unterscheiden von den bisherigen ICAANEs? Dadurch, dass Juden sich unerwünscht vorkommen müssten (auch wenn den Veranstaltern sicherlich keine derartige Absicht unterstellt werden darf!), und dies in Berlin . . . . Weiter mag man an dieser Stelle eigentlich gar nicht mehr denken.

Daher entschlossen wir uns zum Handeln. Im Namen der Gesellschaft, die schließlich auch aus der Beschäftigung mit den altorientalischen Quellen zu einem besseren Umgang miteinander beitragen möchte, machten wir über ein in der Fachwelt bekanntes Internet-Forum (https://listhost.uchicago.edu/mailman/listinfo/ane, siehe unten zur Dokumentation) auf den Missstand aufmerksam und regten an, dass trotz der erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten, die eine Verschiebung wohl mit sich brächte, schlicht nichts anderes übrig bleiben würde, als den Termin zu ändern. Die Reaktion kam erfreulich rasch. Wenige Tage später entschuldigte sich das Organisationskomitee über dasselbe Forum für den Fauxpas und kündigte an, dass an einer Lösung gearbeitet werde. Inzwischen wurde der Kongresstermin, ‚aus organisatorischen Gründen‘, wie es heißt, geändert. Der Kongress wird nun am 28.3.-3.4.2004 stattfinden. Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied.

Stefan Jakob Wimmer

Dokumentation zur Kontroverse um den
4. International Congress on the Archaeology of the Ancient Near East,
Berlin 2004:

Einladung des Organisationskomitees (27.5.2003)
Protestnote der Freunde Abrahams (12.6.2003)
Erste Reaktion des Organisationskomitees (16.6.2003)
Reaktionen
Änderung der Kongressdaten (4.7.2003)
Offizielle Bekanntgabe durch das Organisationskomitee (7.7.2003)


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