Kein guter Zaun

von Stefan J. Wimmer

Zypern ist, trotz aller Bemühungen der letzten Zeit, noch immer ein geteilte Land. Korea ist es auch, mit einer Grenze, die die ehemalige deutsch-deutsche an Menschenfeindlichkeit sogar noch übertrifft. Das eigentlich Heilige Land ist es neuerdings auch. Die israelische Regierung spricht von einem Zaun, die Palästinenser von der Mauer. Tatsache ist, dass die Sperranlagen, die derzeit im besetzten Westjordanland errichtet werden, zum größten Teil aus einem ca. 3 m hohen, mit elektrischen Sensoren versehenen Zaun und Grabenanlagen zu beiden Seiten bestehen, während bestimmte Abschnitte tatsächlich als Betonmauer – von bis zu 8(!) m Höhe – realisiert werden. In manchen Bereichen folgt der Verlauf in etwa der Demarkationslinie zur Westbank von vor dem Sechstagekrieg, in anderen greift sie weit in Palästinensisches Autonomiegebiet ein, so etwa auch zwischen Jerusalem und Bethlehem, wo ungefähr an der Stelle, wo der Tradition nach die Weisen aus dem Morgenland den Stern erblickt haben sollen, der Mauer-Zaun nun den Weg abschneidet.

Soweit ist es gekommen. Ich weiß noch gut, wie damals, zu Beginn der ersten Intifada, während meiner Studienzeit an der Hebräischen Universität, ein Sturm der Entrüstung in der israelischen Öffentlichkeit losbrach, als erste Überlegungen laut wurden, Checkpoints an den Hauptstraßen um Jerusalem einzurichten, um z. B. an hohen jüdischen Feiertagen Sicherheitskontrollen vornehmen zu können: Dies könnte Erinnerungen an die Grenze, die 1948 – 1967 Israel und die damals jordanische Westbank voneinander trennte, wach rufen. Tatsächlich ignorierten damalige israelische Landkarten die völkerrechtlich nach wie vor relevante Demarkationslinie völlig. Zwischen Mittelmeer und Jordan gab es da keine Grenzen. Und nun wird das Land von einer Furche zernarbt, die – selbst wenn die politischen Realitäten einmal längst überwunden sein werden – noch in Jahrtausenden archäologisch nachweisbar sein wird. Wuchtiger ließe sich das Scheitern israelischer Politik nach 36 Jahren Besatzung nicht symbolisieren. Das Scheitern israelischer Besatzungspolitik, aber auch das Ergebnis des palästinensischen Terrors, den seine Urheber ‚Widerstand‘ nennen. Die ‚ewig Gestrigen‘ in Gaza (damit meine ich die Führer der sogenannten ‚Hamas‘ und ihre Gesinnungsgenossen), die sich aus dem Wahn nicht befreien wollen, Israel würde irgendwann wieder verschwinden, wie ein Spuk oder ein böser Traum, oder wie seinerzeit die Kreuzfahrer, wenn man nur ausdauernd und brutal genug mit Gewalt dagegen ankämpfte, werden auch zu der offenkundigen Einsicht nicht fähig sein, dass es auch mit auf ihr Konto geht, wenn das Leid der palästinensischen Bevölkerung immer noch unsäglichere Ausmaße annimmt; wenn sie auch jetzt noch wie in Reservaten eingezäunt wird, oder – man kann die Assoziation nicht verdrängen, wiewohl die Umstände und Hintergründe grundverschieden sind – wie in Ghettos eingemauert.

Freilich stimmt es: Wenn durch die Sicherungsanlagen auch nur ein einziger Terroranschlag verhindert und so Menschenleben gerettet werden könnten – wer dürfte sie dann kritisieren? Doch die Erfahrung, und die Tausenden Tote und Verwundete der vergangenen Jahre, haben längst bewiesen, dass die zunehmende Entrechtung und immer weitere Verschärfung der Lebensbedingungen derer, die ohnehin nichts mehr zu verlieren haben, zu einer weiteren Zunahme der Gewalt führt, und in die falsche Richtung auf der ‚Roadmap‘ zum Frieden. Das weiß natürlich auch Scharon, der Ende Juli in Washington über die Sperranlagen sage: ‚Es ist ein guter Zaun‘. Ihm wird man (nicht zum ersten Mal) unterstellen müssen, dass er lügt.

Be-Elohai adaleg schur, ‚mit meinem Gott überspringe ich Mauern‘, wusste ein früherer Herrscher über Israel. Und weiter: ‚Gegen den Reinen zeigst DU Dich rein, doch falsch gegen den Falschen. Dem bedrückten Volk bringst DU Heil‘ (Danklied König Davids, Psalm 18, 27f.30).


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