Abrahams Post 35

EDITORIAL:

„Um Gottes und des Lebens Willen: Kein Krieg mit Iran!“

Der Gründer der Freunde Abrahams Manfred Görg (1938-2012) überschrieb mit diesem besorgten Appell das Editorial der ABRAHAMS POST vom Sommer 2005. Er musste dabei auf einen „unbelehrbaren Präsidenten der USA“ verweisen – gemeint war George W. Bush – und auf die „zuvor geltend gemachten angeblichen Beweise für eine vom Irak ausgehende weltumspannende Gefahr“. Daraus folgte für ihn zwingend: „Wie vor dem Irak-Krieg erheben wir auch jetzt im Namen der Freunde Abrahams unsere Stimme gegen ein weiteres schreckliches Unheil, das mit dem drohenden Krieg gegen den Iran verbunden sein wird. (…) Der Kriege sind genug! Kein weiteres Abenteuer! Kein neuer Krieg!“

Der israelische Premierminister Netanyahu begründete seine Teilnahme an einer gemeinsamen Konferenz mit Vertretern mehrerer arabischer Staaten vor einigen Mo­na­ten wörtlich damit, „um das gemeinsame Interesse an einem Krieg mit Iran voran­zubringen.“ (Warschau 13.2.2019, „כדי לקדם את האינטרס המשותף של מלחמה באיראן“). Das gemeinsame Interesse der Welt formulierte Manfred Görg vor 14 Jahren so: „Der Mitt­le­re und Nahe Osten braucht stattdessen immer erneuerte Initiativen zu Verhand­lungen, die in aller nur denkbaren Intensität, sowohl mit Sinn für die Realitäten, aber auch mit Phantasie für die Möglichkeiten einer friedlichen Verständigung geführt werden müssen.“

Hier soll nicht die um sich greifende Einflussnahme und Präsenz Irans in Syrien, im Libanon und andernorts und die damit empfundene Bedrohung kleingeredet werden. Aber alle, die sich wahrhaftig um die Sicherheit Israels und das dauerhafte Bestehen des jüdischen Staates sorgen, ohne dabei nur eine Seite des Konflikts wahrzu­nehmen und gelten zu lassen, müssen vor allem anderen jene Gerechtigkeit für alle einfor­dern, ohne die in den Worten der Bibel (Ps 85, 10) kein Friede zu haben ist.

Stattdessen erleben wir, wie der Vorwurf des Antisemitismus politisch missbraucht und so auf fatale Weise entwertet wird. Wie in demokratischen Ländern Politiker, die Men­schen­verachtung predigen, indem sie beispielsweise die Rettung Ertrinkender als Ver­brechen brandmarken, von Wähler­mehrheiten bejubelt werden. Die gras­sie­rende Massenverblen­dung um der vermeintlichen Größe der eigenen Nation Willen und ihre Überhebung über internationale Verträge und Frieden sichernde Staa­ten­­bündnisse gemahnt in beängstigendem Maße an die Stimmung in Europa vor dem Aus­bruch des Ersten Weltkrieges. Merken wir nicht, wie wir auf einen neuen Abgrund zu­steuern, der nicht nur den Nahen Osten in ungeahnte Dimensionen des Verderbens stürzen wird? Womöglich fehlt nur noch ein Attentat auf einen Thronfolger …

Stefan J. Wimmer


Zurück zur Auswahl


Aus dem Verein

Zieh los und lerne!

Gedanken zum Vortrag „Standhafte Beweglichkeit“ von Carolin Simon-Winter

von Brigitte Hutt

Was für eine Begeisterung sie ausstrahlt! Schule und junge Menschen ernst nehmen: Das ist ihr Leben. Die Offenbacher Pfarrerin und Religionslehrerin Simon-Winter arbeitet seit 10 Jahren daran, ein Schulprojekt zu etablieren, das nachweisbar zu Erfolgen führt: Weniger Schülerinnen und Schüler (sie kürzt das charmant SuS ab) melden sich vom Religionsunterricht ab, Abschlussnoten sind ausgezeichnet, die Schule ist nachgefragt bei Schülern und Lehrkräften. Bis zu 70 Nationen sind in der Schülerschaft vertreten, aber Simon-Winter und ihre Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Religionen sehen das als Kapital an, nicht als Hindernis.

Ausgehend von der Bereitschaft Abrahams, auf Gottes Ruf hin voller Vertrauen ins Unbekannte loszuziehen, Grenzen des Machbaren zu akzeptieren, die Schwierig­keiten nicht nur auszuhalten, sondern daraus neues Leben zu schöpfen, hat sie ein Schulprojekt entwickelt, in dem sie alle SuS eines elften Jahrgangs zusammenfasst und sie zuerst einmal begreifen lässt, welche Vielfalt und welche Fähigkeiten in ihrer multikulturellen Zusammensetzung stecken. Sie zeigt ihnen, dass Schubladendenken und Exklusivismus zu Ausgrenzung führen, dass jeder Mensch einzigartig ist und in keine einzige Schublade passt. Sie führt im Team ein dialogisches Unter­richts­modell durch, von dem alle profitieren. Sie lebt und lehrt Respekt und setzt den SuS Grenzen nur im Hinblick auf mangelnde Wertschätzung. Dabei unterrichten sie und ihr Team alle SuS, auch die nicht-religiösen, denn mit Habermas sagt sie, dass in einer post­säkularen Gesellschaft religiöse und nicht-religiöse Menschen gleichberechtigt sein müssen, da wir sonst wieder vor einer Situation der Ausgrenzung stehen. Und auf diesem Hintergrund lehrt sie dann Religionswissenschaft und Philosophie.

Die jungen Menschen lernen, Unterschiedlichkeit, ja Feindschaft zwischen Gruppen – sie hat Türken und Kurden, Juden und Palästinenser in ihrer Schülerschaft gehabt – auszuhalten, die Gefühle der jeweils anderen zu verstehen, stehen zu lassen: Gibt es in der heutigen Gesellschaft Wichtigeres?

Simon-Winter sagt entschieden: Ich möchte Religion nie wieder anders unterrichten. Die Freunde Abrahams fragen: Wie kann man ein solches Projekt auch an anderen Orten aufziehen?


Zurück zur Auswahl


Libanon – Eindrücke von unserer Begegnungs- und Studienreise 24.4.-1.5.2019

von Stefan Jakob Wimmer

Baalbek – eine Stadt in der Bekaa-Ebene, ist weltbekannt für ihre atem­beraubenden Tempelanlagen, die zu den gewaltigsten archäologischen Resten der gesamten römi­schen Welt zählen. Dass wir an den Tempeln vom Bürgermeister mit Entourage erwartet und herzlich begrüßt wurden, kam unerwartet. Wie so vieles auf dieser Reise, die ohne Übertreibung wohl für viele von uns zu den eindrücklichsten für Geist und Seele gehörten, die die Freunde Abrahams bisher unternommen und erlebt haben …

Als wir nach dem Besuch der Ruinen vom Bürgermeister zu einem üppigen Abend­essen eingeladen wurden – die libanesische Küche ist in der ganzen Arabischen Welt berühmt, mit Recht, wie wir nun alle wissen – ergab sich ein persönliches Gespräch mit ihm. Hussein Lakis war viele Jahrzehnte lang General der libanesi­schen Armee gewesen. Was bedeutet, dass es ihm an dem, wozu Generäle da sind, nämlich Kriege zu führen, nie gemangelt hat. Das Fazit, das er mir gegenüber daraus zog, war entsprechend glaubwürdig und bewegend: Er drückte die Hoffnung aus, dass es nie wieder Krieg gäbe, denn im Krieg, so der General, gäbe es immer nur Verlierer, keine Gewinner.

Dieser erste Reisetag hätte schon spektakulärer nicht beginnen können: Am Morgen fuhr unsere Freunde-Abrahams-Gruppe von Beirut hinauf in das schwer bewachte Gelände des Präsidentenpalastes im Vorort Baabda. Im eindrucksvollen Empfangs­raum warteten wir – sicherlich alle etwas nervös und aufgeregt – auf Michel Aoun, den Präsidenten der Republik Libanon. Äußerlich von eher unscheinbarer Gestalt, ein körperlich kleiner Mann in den Achtzigern, verkörpert er viele Jahrzehnte der wechselvollen, schwierigen Geschichte dieses rein geographisch ebenfalls kleinen Landes. Noch aus der Zeit des Bürgerkrieges (1975–1990) ist sein Name im Nahen Osten ein Begriff. Und jenseits von bedeutungsleeren Floskeln hatte er ein Anliegen: Er trug uns seinen Plan vor, den er den Vereinten Nationen vorschlagen will: im Libanon eine „Akademie für Dialog“ zwischen Reli­gionen und Kulturen zu gründen.

Langsam begriffen wir während unserer vielen, vielen Begegnungen und Gespräche, dass das Land, über das Papst Johannes Paul II. einmal gesagt hat, dass es eben nicht nur ein Land, sondern auch eine Botschaft sei, dafür, weiß Gott, ein passender Ort wäre. Wir trafen Muslime, die stolz auf die vielen Christen des Libanon sind, weil sie das Land innerhalb der Arabischen Welt besonders auszeich­neten. Und wir trafen Christen, die stolz auf die vielen Muslime des Libanon sind, weil sie damit in der Arabischen und Islamischen Welt beheimatet sind.

Zu verdanken hatten wir das alles dem „Global Forum for Religions and Humanitiy“, der einheimischen Gruppierung, die sich im Libanon um den Dialog bemüht – wo dieser ganz akut spürbar von existentieller Bedeutung für alle ist. Deren Mitglieder hatten unser Reiseprogramm in der hier nur angedeuteten Weise bereichert. Und das wiederum – und vieles mehr – ist Mohamad Saleh zu verdanken. Der Ehemann der zweiten Vorsitzenden der Freunde Abrahams Yvonne Baur-Saleh hat unermüd­lich an der Vorbereitung dieser Reise gearbeitet, und er hat uns sein Land sehr persönlich und authentisch nahegebracht.

Von zehn Reisetagen habe ich hier nur vom ersten teilweise berichtet. Was noch kam – eine Übernachtung in einem uralten Kloster im Wadi Qadisha, heute noch so abgelegen, dass es nur über einen Fußpfad erreichbar ist, bei einfachsten, fast asketisch-christlichen Verhältnissen; die berühmten „Zedern Gottes“ auf über 2000 Metern Höhe noch im tiefen Schnee; die etwas geheimnisvolle Religionsgemein­schaft der Drusen in den landschaftlich malerischen Schuf-Bergen und das von ihnen dort verehrte Grab des koranischen Propheten Ayoub – der biblische Hiob, der sich wie kein anderer mit der Frage nach Ungerechtigkeit und Leid auseinandergesetzt hat; die leidvolle jüngste Geschichte und Gegen­wart im Süden, wo wir im Heimat­dorf der Familie Saleh erfuhren, was Fernsehnachrichten nicht vermitteln (können) – das alles und noch eine ganze Menge mehr wollen wir denen, die nicht mit dabei sein konnten, zu berichten versuchen: siehe dazu die Ankündigung „Libanon: ein kleines Land mit großer Botschaft. Ein Abend mit Bildern und Eindrücken und Stoff zum Nachdenken“ für den 13.2.2020.

Libanon Empfang

 


Empfang der Freunde Abrahams bei Staatspräsident Michel Aoun (Foto: http://nna-leb.gov.lb)

 

 

 

 


Zurück zur Auswahl


„Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel Pause!“
Unser „Tagesausflug nach und zu Hause“ fiel ins Wasser …

von Stefan Jakob Wimmer

Mehrere Wochen lang hatten viele unter Hitze und Trockenheit gelitten; auf die Sonne, jubelten andere, könne man sich in diesem Sommer auch in unseren Breiten verlassen. Der Wetterumschwung kam plötzlich und ausgerechnet am Sonntag, 7. Juli – dem Datum unseres Tagesausflugs, der uns als erstes Hauptziel zum „Tipi-Platz“ führen sollte. Dort hätten wir uns im Freien aufgehalten, die filigrane Eisen­kapelle besucht, einen buddhistischen Stupa gesehen und vieles mehr, was dieses kaum bekannte Fleckchen Münchner Stadtrand an Überraschungen zu bieten hat.

Früh morgens meinten wir noch, wir könnten es riskieren. Dann prasselte über Allach/Untermenzing ein heftiger Regenguss nieder, und der Wetterbericht erzwang schließlich in letzter Minute unsere Kapitulation … Weil sich das Wetter danach dann doch schnell wieder besserte und wir vielleicht gar nicht so sehr nass geworden wären, zitieren wir die Wettermeldung des Deutschen Wetterdienstes von 9 Uhr im Wortlaut: „Von Westen ziehen Gewitter auf. Dabei gibt es Sturmböen mit Geschwindigkeiten bis 85 km/h sowie Starkregen mit Niederschlagsmengen zwischen 15 und 25 l/m2 pro Stunde und Hagel. Achtung: Örtlich kann es Blitzschlag geben. Bei Blitzschlag besteht Lebensgefahr! Vereinzelt können beispielsweise Bäume entwurzelt und Dächer beschädigt werden. Achten Sie besonders auf herabstürzende Äste, Dachziegel oder Gegenstände.“ Damit war deutlich: das war gegenüber den TeilnehmerInnen nicht zu verantworten. Zumal uns Anwohnern im Nordwesten der Stadt noch der gewaltige Hagelsturm vom Pfingstmontag in den Knochen steckt(e). Die zerlöcherten Jalousien und teilweise Putzfassaden in Allach hätten wir besichtigen können…

Die angemeldeten TeilnehmerInnen, die ich telefonisch noch erwischen konnte, reagierten mit Verständnis und häufig mit der Hoffnung, dass der Ausflug nachgeholt werden würde. Nikos W. Dettmer, Präsident der „Münchener Künstlergenossenschaft kgl. priv. 1868“, der uns in sein Atelier eingeladen hatte, brachte, als ich ihm die Absage mitteilen musste, die gebotene Schicksals­ergeben­heit auf den Punkt: „Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel Pause!“

Vor der Sommerpause war kein Ersatztermin mehr möglich, und auch für den Herbst wäre es schwierig. Deshalb hat der Vorstand entschieden, dass wir Krümel es im nächsten Jahr nochmal versuchen wollen und denselben Tagesausflug wieder anbieten werden. Wir hoffen, dass Sebastian Weiss, der Schöpfer der Eisenkapelle, uns auch dann wieder vor Ort zur Verfügung stehen wird und dass wir die Kunstwerke von Nikos W. Dettmer auch dann sehen dürfen. Die Geschäftsstelle kann schon mal zusichern, dass der geplante Empfang im Anwesen Wimmer wieder angeboten werden wird. Inschallah. Hoffen wir auf einen günstig gestimmten Kuchen …

Der Termin wird in der Abrahams Post Frühjahr/Sommer 2020 bekannt gegeben werden.


Zurück zur Auswahl


Aus aller Welt

Wüstensafari durch die Hauptstadt: Ägyptens neue Kapitale

von Stefan Jakob Wimmer

Es war keine Freunde-Abrahams-Reise, aber es waren Mitglieder der Freunde Abrahams dabei, als wir im März 2019 mit einer „Dahabeya“, einem wunder­schönen Nilschiff, Ägypten bereisten und zum Abschluss Neuland betraten. In der letzten Abrahams Post (Frühjahr/Sommer 2019, S. 24) wurde als gute Nachricht vermeldet, dass in der in Bau befindlichen neuen Verwaltungshauptstadt des Landes, die Präsident Sisi nahe Kairo aus dem Wüstenboden stampfen lässt, die größte Moschee Ägyptens und daneben die größte Kirche des Nahen Ostens eingeweiht worden waren.

Das wollten wir sehen. Die erforderlichen Genehmigungen wurden – sehr knapp zwar, aber doch – erteilt. Als wir uns vom Kairoer Flughafen aus auf die Suche nach der neuen Stadt machten, die laut Ankündigung des Präsidenten Anfang der 2020er(!) Jahre fertig gestellt und Wohnraum für sieben Millionen(!) Einwohner bieten soll, wurde ein gewisser Expeditions­charakter unseres Sight-Seeings schnell klar. Die ägyptischen Begleiter unserer Gruppe waren ihrerseits nicht weniger neu­gierig – denn auch für die Touristenguides ist die noch namenlose Verwaltungs­hauptstadt („Administrative Capital“) bisher ein weißer Fleck auf der Landkarte. Der entsprechend schwierig aufzufinden ist. Erst nach einigen Irrwegen war ein spezieller, nur Arabisch sprechender Guide in den Bus geladen, der mit Lizenz ausgestattet den Weg zu Moschee und Kathedrale wusste.

In der Peripherie sahen einige locker verstreute Wohnviertel fast bezugsfertig aus. Allesamt im Stil amerikanischer „Gated Communities“, also geschlossener und gesicher­ter Villenviertel für Reiche. Dann aber: Leere. Ein ausgedehntes Netz breiter, neuer Straßen – die durch den Wüstenboden gezogen waren. Ganz wie eine Fata Morgana tauchten schließlich die vier riesigen Minarette der Al-Fattah-Al-Alim-Moschee auf. Davor stehend war man beeindruckt (vom Äußeren, das Innere blieb uns verschlossen); schaute man drum herum, sah man: nichts, außer leere Wüste und breite Straßen.

Der Weg von der Moschee zur Kathedrale war dann unerwartete dreizehn Kilometer weit (für Kairo-Kenner: dieselbe Distanz wie vom Tahrirplatz zu den Pyramiden), doch mangels jeglichen Verkehrs auf den Straßen schnell zurückgelegt. Für das Passieren des Tores in das (wie bei der Moschee) ummauerte Gelände musste auf eine weitere Genehmigung gewartet werden. Äußerlich ganz fertig war die koptische Christi-Geburt-Kirche noch nicht (anders als die Moschee), doch ihr Inneres beein­druckte enorm, mit geschmackvoller, moderner koptischer Ikonenmalerei.So durften wir als wohl eine der ersten Touristengruppen überhaupt Eindrücke von diesem noch sehr surrealen Ort sammeln, der sich sicherlich sehr schnell gewaltig verändern wird. Eine Beobachtung am Rande: Neben manchen der breiten, neuen Straßen verlaufen eigens abgegrenzte – Radwege! Die blauen Radwegschilder sind schon aufgestellt.

Moschee_AEGYPT

 

Die Zukunft ist verheißungsvoll!

Foto:
Die Moschee von weitem

 

 

 

 

Kathedrale_AEGYPT

 

Johannes und Dorothea Friedrich vor der Kathedrale (Fotos: SJW)

 

 

 

 

 


Zurück zur Auswahl


Sage nein!

Zu den antisemitischen Übergriffen in Berlin (am 26.7.) und München (am 3.8.)
– und wann und wo auch immer

von Stefan Jakob Wimmer

Wir werden es nicht ganz abstellen können, dass es dumme Menschen gibt, mit defektivem Selbstvertrauen, in der Seele vergiftet – dass es also auch Antisemiten gibt. Aber wir akzeptieren es nicht, dass sie unwider­sprochen auf unseren Straßen (oder wo auch immer) Menschen attackieren oder beleidigen. Konstantin Weckers Lied von 1993 ist unfassbar aktuell. Es sollte wieder viel häufiger gehört – und beachtet – werden (Auszüge):

Wenn sie jetzt ganz unverhohlen wieder Nazi-Lieder johlen,
Über Juden Witze machen, über Menschenrechte lachen,
Wenn sie dann in lauten Tönen saufend ihrer Dummheit frönen,
Denn am Deutschen hinterm Tresen muss nun mal die Welt genesen,
Dann steh auf und misch dich ein:
Sage nein!

Und wenn sie in deiner Schule plötzlich lästern über Schwule,
Schwarze Kinder spüren lassen, wie sie andre Rassen hassen,
Lehrer, anstatt auszusterben, Deutschland wieder braun verfärben,
Hab dann keine Angst zu schrei’n:
Sage nein!

Ob als Penner oder Sänger, Bänker oder Müßiggänger,
Ob als Priester oder Lehrer, Hausfrau oder Straßenkehrer,
Ob du sechs bist oder hundert, sei nicht nur erschreckt, verwundert,
Tobe, zürne, misch dich ein:
Sage nein!

 


Zurück zur Auswahl


 

„Wer ‚Antisemitismus‘ ruft, wo keiner ist, der schadet dem Kampf gegen Antisemitismus!“
(Shimon Stein)

von Stefan Jakob Wimmer

Die mahnenden Worte des ehemaligen Botschafters des Staates Israel in Deutschland, die wir in der ABRAHAMS POST schon zitiert haben (Frühjahr/Sommer 2018, Editorial), werden weiterhin missachtet. Während offener Antisemitismus heute wieder in erschreckendem Maß um sich greift, beobachten wir mit großer Sorge, wie gleichzeitig dem Kampf gegen Antisemitismus dadurch geschadet wird, dass der Vorwurf ausgerechnet für extrem rechts gerichtete politische Zwecke instrumentalisiert wird. Das gilt auch dann, wenn dies in vermeintlich guter Absicht geschieht – was man den Bundestagsabgeordneten zubilligen wird, die jüngst in einer Resolution die sogenannte „BDS“-Bewegung pauschal mit Antisemitismus gleich­gesetzt haben. Wer nicht differenziert, wo Kritik an Israel tatsächlich antisemi­tisch begründet sein kann und wo sie vom Grundrecht der Meinungsfreiheit ge­schützt wird, wo sie legitim ist und wo sie dringend geboten sein sollte, greift in unser aller Verantwortung um den Kampf gegen Antisemitismus ein, indem er den Vorwurf und Begriff missbraucht und entwertet.

Menschen, die alle Anerkennung um ihr Wirken für das gelingende Miteinander in Deutschland verdienen, wie z. B. Peter Schäfer, Direktor des Jüdischen Museums Berlin, der im Kontext jener Entscheidung durch heftige Vorwürfe zum Rücktritt veran­lasst wurde, werden zum Opfer eines um sich greifenden neuen Unrechtsmechanis­mus. Der Ägyptologe und die Kulturwissenschaftlerin Jan und Aleida Assmann, Friedens­preisträger des Deutschen Buchhandels 2018, die sich öffentlich mit Peter Schäfer als einem „engagierten Freund Israels“ solidarisierten, fanden dafür deut­liche Worte: „Ein neues Gespenst geht um in Europa: das ist der Antisemitismus-Vorwurf.“ Dieser stelle „uns Europäer, insbesondere Deutsche, unter Generalver­dacht und ruft im Stil der McCarthy-Ära zu einer Hexenjagd auf jeden auf“, der die aktuelle Politik Israels nicht unterstütze und denunziere ihn als Antisemiten.

Es sind vor allem auch kritische Israelis, die sich laut und deutlich gegen die in ihren Augen verheerende Politik ihres Landes aussprechen – weil sie darin Unrecht gegen das palästinensische Volk zum einen und zum anderen die tatsächlich größte Gefahr für die Sicherheit und das Fortbestehen ihres eigenen Staates erkennen. Wer sie, wie das in Deutschland massiv geschieht, zum Schweigen bringt, macht sich – falls sie Recht haben – am gegenwärtigen und künftigen Leid der Menschen im Nahen Osten, und ausdrücklich auch Israels, mit schuldig!

Weil wir das nicht wollen, möchten wir zur Verbreitung eines Aufrufs von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftlern an die Bundesregierung vom 3.6.2019 beitragen und Auszüge daraus abdrucken. Der volle Wortlaut ist hier zu finden: https://de.scribd.com/document/412474418/Aufruf-von-240-Judischen-und-Israelischen-Wissenschaftlern-an-die-Bundesregierung-zu-BDS-und-Antisemitismus

„(…) Wie in der früheren Erklärung zum Ausdruck gebracht, betrachten wir Anti­semit­­is­­mus und alle Formen von Rassismus und Fanatismus als Bedrohungen, die bekämpft werden müssen, und wir ermutigen die deutsche Regierung und den Bundes­tag, dies zu tun. Der Bundestagsbeschluss [vom 17.5.2019 zur Einstufung der sog. „BDS“-Bewegung als „antisemitisch“] unterstützt diesen Kampf jedoch nicht. Im Gegenteil, er untergräbt ihn.

Die Meinungen zu BDS gehen unter den Unterzeichnern dieses Aufrufs erheblich auseinander: Manche mögen BDS unterstützen, während andere es aus verschie­denen Gründen ablehnen. Wir alle lehnen jedoch gleichermaßen die trügerische Behauptung ab, BDS sei als solches antisemitisch, und wir bekräftigen, dass Boykotte ein legitimes und gewaltfreies Mittel des Widerstands sind. Wir, darunter führende Antisemitismusforscher, erklären, dass man nach dem Inhalt und dem Kontext seiner Worte und Taten als Antisemit betrachtet werden sollte – ob sie nun von BDS-Unterstützern stammen oder nicht.

Bedauerlicherweise ignoriert der Beschluss die ausdrückliche Ablehnung ‚aller Formen von Rassismus, einschließlich Antisemitismus‘ durch die BDS-Bewegung. Die BDS-Bewegung versucht, die Regierungspolitik eines Staates zu beeinflussen, der für die anhaltende Besetzung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes verantwortlich ist. Eine solche Politik kann nicht immun gegen Kritik sein. In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass viele jüdische und israelische Einzelpersonen und Gruppen BDS entweder ausdrücklich unterstützen oder das Recht darauf verteidigen. Wir halten es für unangemessen und beleidigend, wenn deutsche Regierungs- und parlamentarische Institutionen sie als antisemitisch abstempeln.

(…) Wir kommen zu dem Schluss, dass der Anstieg des Antisemitismus eindeutig nicht die Sorge ist, die den vom Bundestag beschlossenen Antrag inspiriert hat. Im Gegenteil, dieser Antrag ist von den politi­schen Interessen und der Politik der am stärksten rechtsgerichteten Regierung Israels in der Geschichte des Landes angetrieben. (…)

Die antisemitische Bedrohung geht nicht von palästinensischen Menschenrechts­aktivisten aus, sondern vor allem von der extremen Rechten und von dschihadisti­schen Gruppen. Die Leugnung dieser Tatsache könnte Muslime und Araber dem bedeutsamen Kampf gegen Antisemitismus entfremden und behindert die Heraus­bildung echter Solidarität zwischen Juden, Israelis, Muslimen und Arabern im Kampf gegen Antisemitismus und andere Formen von Rassismus. Sie sendet auch eine falsche Botschaft an diejenigen, die sich der Unterdrückung des palästinensischen Volkes mit gewaltfreien Mitteln widersetzen.

Aus all diesen Gründen lehnen wir, jüdische und israelische Wissenschaftler, den Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ab. Nach dem Bundes­tags­beschluss fordern wir nun die Bundesregierung auf, diesem Antrag nicht zu folgen und BDS nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen. (…) Darüber hinaus rufen wir die Bundesregierung dazu auf, ihre direkte und indirekte Finanzierung israelischer und palästinensischer Nichtregierungs­organisationen aufrechtzuerhal­ten, die der israelischen Besatzung friedlich entgegenwirken, schwere Vorwürfe gegen das Völkerrecht aufdecken und die Zivilgesellschaft stärken. Diese Organi­sationen verteidigen die Prinzipien und Werte, die das Herzstück der liberalen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und andernorts bilden.“


Zurück zur Auswahl


Die gute Nachricht

Wir gratulieren:
Das Bundesverdienstkreuz für Eveline Goodman-Thau

Sie selbst nennt sich augenzwinkernd eine „unorthodoxe orthodoxe Rabbinerin“. Außer dass sie Mitglied im Kuratorium der Freunde Abrahams ist, leitet Prof. Dr. Dr. h.c. Eveline Goodman Thau aus Jerusalem die von ihr 1998 gegründete „Hermann-Cohen-Akademie für Religion, Wissenschaft und Kunst“ in Buchen im Odenwald. Das liegt in Baden-Württemberg, und deshalb fand der Festakt zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an die 1934 in Wien geborene Schoah-Überlebende am 22.5.2019 in der Landesvertretung dieses Bundeslandes in Berlin statt. Überreicht wurde der Orden von Staatssekretär Volker Ratzmann in Vertretung des Bundes­präsidenten. Dass Prof. Wimmer mit im Publikum saß, wollte er sich nicht nehmen lassen – sind wir doch sehr froh, dass unter den Empfehlungen, die schließlich zu der sehr gut begründeten positiven Entscheidung über den Antrag geführt haben, auch eine Stellungnahme der Freunde Abrahams eingeholt worden war. Die glückliche Geehrte, ausgezeichnetes koscheres Fingerfood und besonders auch die fantastische Musikbegleitung durch Schülerinnen und Schüler des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn (Leonard Cohens Hallelujah und vieles mehr) waren die Reise allemal wert!

Wir wünschen Gottes Segen

Am 22. Juni 2019 hat Erzbischof Reinhard Kardinal Marx im Münchner Liebfrauen­dom zehn Frauen und zwei Männer als PastoralassistentInnen für den Dienst in der Erzdiözese ausgesandt. In einem feierlichen Gottesdienst wurden die 12 SeelsorgerInnen für ihre pastorale Arbeit in den Pfarreien beauftragt und gesegnet. Eine von ihnen ist auch unser Vorstandsmitglied Judith Einsiedel. Herzlichen Glückwunsch zur Aussendung!


Zurück zur Auswahl


Buchtipps

Eveline Goodman-Thau: Vom Archiv zur Arche. Geschichte als Zeugnis

„Die Wirklichkeit von Auschwitz ist unvorstellbar, eine Geschichte, die auch als Erzählung unimaginär, mit keinen Worten zu beschreiben ist. Der Gang ins Archiv ist hier überflüssig: Alle historischen Berichte und Augenzeugen­beschreibungen können uns keine wirklichen Auskünfte über Auschwitz liefern“, schreibt Eveline Goodman-Thau im Vorwort ihrer 2018 erschienenen Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen aus mehr als drei Jahrzehnten. Übergreifend ist das Bemühen, sich der Geschichte des Unsagbaren als Zeugnis anzunähern und aus gegenwartsbezoge­nen Perspektiven zu beschreiben. „Zeugnis ablegen bedeutet einen persönlichen Bezug zur Vergangenheit darzustellen jenseits der allgemeinen Meinung: Geschichte in Gedächtnis verwandeln, zu erzählen, um so auch Gedächtnis in Geschichte zu verwandeln: das heißt zu handeln im Bewusstsein einer Verantwortung für die Welt, in der er oder sie lebt.“

Siehe auch die Buchvorstellung am 10.11.2019.

Vlg. Edition AV, Bodenburg 2018, 348 Seiten, ISBN 978-3-86841-222-2, 20 €

 

Brigitte Hutt: Zwischendrin mittendrin. Erzählungen

Nach „Tod des Autors. Kein Kriminalroman“ (2017) und „f r e m d . Das Ende einer Reise“ (2018) hat Brigitte Hutt – den Freunden Abrahams als langjähriges Vorstandsmitglied bestens bekannt – ihr drittes Buch vorgelegt: eine Sammlung von Kurzgeschichten „(…) zwischen realem Leben und Fantasie oder gar Satire – eben Geschichten ‚zwischen‘“. Einige davon waren beim Corso Leopold im Mai von der Autorin live zu hören, unter dem dafür neu geprägten Begriff „Zwischengeschichten“. Sie nachzulesen und dazu noch viele mehr, gibt es nun Gelegenheit! (www.hutt-edv.de)

BoD Norderstedt 2019, 200 Seiten, ISBN 978-3743103399, 8,99 €

 

Benjamin Idriz:
Der Koran und die Frauen. Ein Imam erklärt vergessene Seiten des Islam

Benjamin Idriz dürfte der einzige Imam Deutschlands sein, der zugleich promovierter islamischer Theologe ist. Beides – die Praxisbezogenheit des Seelsorgers und die wissenschaftliche Vertrautheit mit den Quellen – zeichnet sein neues Buch aus. Mit diesen Qualitäten ragt es aus einer wahren Flut von Veröffentlichungen aller Art über die „Frauenfrage“ im Islam wohltuend heraus. Der Autor ist seit vielen Jahren weit über die oberbayerische Kleinstadt Penzberg, wo er als Imam wirkt, und über München, wo er das „Münchner Forum für Islam“ initiiert hat, bekannt: Sein Wirken und Schaffen gilt einem authentischen Islamverständnis, das mit den Wertvorstel­lungen der deutschen und europäischen Gesellschaft unserer Zeit nicht nur kompatibel ist, sondern die gemeinsamen Werte aus den Quellen des Islams – dem Koran und der Tradition der Propheten – ableitet.

Gerade zum Thema „Der Koran und die Frauen“ kann diese Herangehens­weise vielen die Augen öffnen. Denn Idriz leugnet keineswegs die traurigen und oft genug bisweilen schockierenden Realitäten. Er stellt sie schonungslos bloß, ordnet sie als das ein, was sie sind: empörende Verirrungen in der muslimischen Geschichte und leider auch Gegenwart, und zeigt auf, was der Koran wirklich dazu sagt. Damit spricht er zum einen die breite Öffentlichkeit an, die über die Berichterstattung der Medien wenig bis keine Möglichkeiten hat, sich kompetent informieren zu lassen. Zum anderen aber wendet er sich direkt an Musliminnen und Muslime und fordert vor allem auch sie dazu auf, ihre eingespielten Verhaltens- und Denkweisen zu überprüfen und zu dem zurückzukehren, was Gott im Koran meint und der Prophet in seinen Hadithen wirklich gesagt hat und was nicht. Er lässt sich somit nicht von einem aktuellen Trend vereinnahmen, den Islam neu zu erfinden, sondern weist kompetent nach, dass und wie der Koran und die Sunna von Anfang an die Befrei­ung der Frau, ihre Wertschätzung und Gleichstellung bewirken wollten und fordern.

Das Buch öffnet neue Horizonte für alle, die von der Frage betroffen sind oder meinen, mitreden zu können. Die Debatte über die Frau im Islam in Deutschland kann ohne dieses Buch nicht mehr geführt werden.

Gütersloher Verlagshaus 2019, ISBN 978-3579014630, 18,- €


Zurück zur Auswahl


Texte zum Nachdenken – Worte für die Seele

Auf der letzten Seite der ARAHAMS POST wollen wir Ihnen auch künftig Gedichte, Lieder oder kurze Texte zum Nachdenken und für die Seele mitgeben. Für Ihre Anregungen sind wir immer dankbar!

„Gemeinsam“

Vergesset nicht
Freunde
wir reisen gemeinsam

besteigen Berge
pflücken Himbeeren
lassen uns tragen
von den vier Winden

Vergesset nicht
es ist unsre
gemeinsame Welt
die ungeteilte

ach die geteilte
die uns aufblühen läßt
die uns vernichtet
diese zerrissene
ungeteilte Erde
auf der wir
gemeinsam reisen

Rose Ausländer (1901-1988)