Abrahams Post 33

EDITORIAL:

In den Schuhen des Anderen

Am 8. September 2018 wäre Manfred Görg 80 Jahre alt geworden. Die Freunde Abrahams feiern ihren Gründer und bleibenden geistigen Vater mit zwei Veranstal­tun­gen: Mit dem „Abrahamischen Friedensgebet“, das jährlich im Umfeld des Todes­­tages von Manfred Görg stattfindet (…17.9.2012), und mit der Verleihung des nach ihm benannten Preises für religionsgeschichtliche Forschung und inter­reli­giösen Dialog, der alle drei Jahre vergeben wird. Beides findet am Sonntag, 16.9.2018 statt – siehe Seite 3.

In einem Interview aus dem Jahr 2008, dem auch das Preismotto „Religion verpflich­tet zur Offenheit!“ entlehnt ist, untermalt Görg diese Maxime mit der Formulierung: „Man muss lernen, in den Schuhen des Anderen zu gehen“. Es reicht eben nicht, nebeneinander herzulaufen. Es braucht Wertschätzung für die oder den Anderen, solidarisches Interesse an dem, was ihr und ihm kostbar und heilig ist, Empathie für seine und ihre Sorgen und Ängste.

Es reicht eben auch nicht, nur die eigene Religion zu kennen und zu schätzen. Denn dann besteht immer die Gefahr, dass sie für die Bestimmung der eigenen Identität verein­nahmt und dazu missbraucht wird, Grenzen gegen Andere abzustecken. Wer die eigene Religion und ihre Symbole wie ein Feldzeichen vor sich herträgt, darin gleichsam ein Wappen oder eine Fahne sieht, der verehrt damit nicht mehr das absolut Unverfügbare, das den Kern jeder Religion ausmacht, sondern vergöttert letztlich die Interessen der eigenen Gemeinschaft.

Auch das hat Görg in jenem Interview deutlich ausgesprochen: „Es ist un­christlich, Kulturen abzuweisen, die bei uns zu Gast sind und hier zuhause sein möchten.“

Stefan J. Wimmer


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Berichte zu Veranstaltungen

Kampf gegen Armut und Klimawandel: Schafft das die Demokratie?

zum Vortrag „Ethik der Globalen Teilhabe bei Papst Franziskus und Amartya Sen“ – von Judith Fröhlich

Kann Klimaschutz gelingen, wenn Millionen von Armen in die Mittelschicht aufstei­gen und dadurch Konsum und Energieverbrauch ansteigen? Und macht die lang­wie­rige Konsenssuche in einer Demokratie den weltweiten Kampf gegen Armut und Klima­wandel nicht derart langsam und umständlich, dass man an der Sinnhaftigkeit von Teilhabe zweifeln muss? In den letzten Jahren ist das Ideal der demokratischen Teilhabe wieder verstärkt unter Rechtfertigungsdruck geraten, und zugleich mehren sich die Zweifel, ob die Herausforderungen des Klimawandels und globaler Ungleich­verteilung in unserem freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem überhaupt gemeistert werden können.

In einem Vortrag im Pfarrverband Sendling berichtete der Biologe und Volkswirt Stefan Einsiedel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Globale Fragen an der Hochschule für Philosophie, über die Ergebnisse seiner Doktorarbeit zu diesem Themenkomplex. Dabei schilderte Einsiedel zunächst die Schwierigkeiten des Nobelpreisträgers Amartya Sen, die Wichtigkeit der Teilhabe, von der dieser aus verschiedensten Gründen zutiefst überzeugt ist, mit empirischen Daten zu belegen. Sens Argumente kreisen dabei um zwei Wirkungsdimensionen der demokratischen Teilhabe: „Wissen“ (freier Wettbewerb der Ideen und Kandidaten, mehr Geld für breite Bildung in freien Demokratien, weniger Fehlinvestitionen durch öffentliche Kritik und freien Informationsfluss) und „Gerechtigkeit“ (weniger Korruption und höhere Rechtssicherheit in funktionierenden Demokratien, breitere Verteilung von Vermögen und Produktionsfaktoren, Vermeidung von Revolutionen durch die Mög­lich­­keit geordneter Regierungswechsel). Doch auch so manche gutorganisierte Diktatur schafft erstaunliche Wachstumsraten, so dass der Wirtschaftswissenschaftler Sen schon früh versuchte, die Teilhabe auch ethisch als etwas, das „zutiefst dem Wesen des Menschen entspricht“, zu begründen.

An dieser Stelle spannte der Referent den Bogen zur Ethik von Papst Franziskus, der aktuell eine „Re-Aktualisierung“ der katholischen Soziallehre vornehme, viele Ge­dan­ken und Initiativen seiner Vorgänger ebenso wie aktuelle Forschungsergebnisse aufgreife und mit ganz neuer Dringlichkeit in die öffentliche Diskussion einbringe. Die Wirtschafts- und Gesellschaftskritik von Papst Franziskus werde dabei häufig missverstanden und dieser in oberflächliche Kategorien wie „Anti-Kapitalist“, „Papst der Armen“ oder „Peronist“ eingeordnet, die dem tief spirituellen und ganzheitlichen Blick des Papstes nicht gerecht würden. Bereits in den frühen Werken des späteren Papstes zeige sich sein Bemühen, jedem einzelnen Menschen individuell gerecht zu werden, sowie eine tiefe Betroffenheit über die „Verkümmerung und Korruption von Seelen“, die aufgrund von äußeren Umständen oder aufgrund ihres eigenen Egois­mus ihr menschliches Potenzial nicht voll entfalten könnten. In diesem Bemühen um eine „ganzheitliche Entfaltung“ treffen und ergänzen sich die Argumente von Papst Franziskus und Amartya Sen, die der Referent in seinen Forschungen in indischen Slums und Urwalddörfern einem ersten Praxistest unterzog. Dabei zeigte sich die enorme Bedeutung von Bildung und eine besondere Wirkungsweise der Demo­kra­tie: Diese fungiere gerade in Entwicklungsländern häufig am ehesten als „Freiheits-Garantin“, die den Einsatz von Hilfsorganisationen und die Selbstbestimmung der Menschen zulasse und damit einer positiven Entwicklung zumindest nicht im Wege stehe. Mit zahlreichen Beispielen schilderte Einsiedel die wachsenden Unterschiede zwischen städtischer und ländlicher Armut und die offensichtliche Bedeutung von Teilhabe und Konsens beim Kampf gegen den Klimawandel – den großen Reli­gionen komme dabei als Verteidiger einer ganzheitlichen Entwicklung des Menschen eine steigende Bedeutung bei.


 

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“

Eindrücke vom Kreis der Religionen auf dem Corso Leopold am 4. und 5. Mai 2018
von Yvonne Baur-Saleh, mit Beobachtungen von Dr. Hubert Brosseder und Michael Steinbacher

Katholiken und Bahai, Muslime und Quäker, thailändische Buddhisten und die Freun­de Abrahams präsentierten sich mit zehn weiteren Religionsgemeinschaften und Initiativen auf dem Corso Leopold als Kreis der Religionen. In den Monaten zuvor hatte sich das eingespielte Team mehrfach getroffen, um die vierte gemein­same Veranstaltung auf die Beine zu stellen, und am Corporate Design gefeilt, einen Flyer verfasst, das Bühnenprogramm geplant.

Dann war es soweit: Vier weiße Pagoden, an den Dächern mit Wimpeln verbunden, bildeten einen angedeuteten Kreis, und die Religionsgemeinschaften richteten sich ein. Auf unserem Infotisch arrangierten wir heilige Bücher und religiöse Objekte: zum Judentum eine hebräische Bibel, eine Kippa und ein Schofar; eine Bibel, einen Rosenkranz und eine Ikone zum Christentum und zum Islam einen Koran und eine Gebetskette. Dazu gesellte sich eine Sitzstatuette des Imhotep, der im 28. Jh. v.Chr. unter Pharao Djoser als Architekt und Universalgelehrter wirkte und in späterer Zeit von den Ägyptern vergöttlicht wurde. Mit ihm verwiesen wir auf die gemeinsamen Wurzeln der drei Religionen im Alten Ägypten.

Unsere abrahamische Installation erwies sich als beliebtes Fotomotiv, erfreute einen fast blinden Herrn, der die Menora und das Widderhorn mit beiden Händen ertaste­te und bot reichlich Gesprächsstoff – etwa für ein Ehepaar, das lange am Stand verweilte. Gesprächspartner Dr. Hubert Brosseder, Vorstandsmitglied der Freunde Abrahams, war „verblüfft, wie sehr ganz säkulare Menschen sich mit religiösen Themen beschäftigen. Sie fanden es sehr gut, dass sie am Stand der Freunde Abrahams in der Bibel blättern konnten, und treffsicher fanden sie die Stellen, die sie besonders interessierten. Sie sagten mir, dass sie fasziniert von Jesus seien, wie er mit dem, was er gesagt und getan hat, das Leben der Menschen erleichtern würde. Ich war auch ein bisschen beschämt, dass sie die Bibelstellen offensichtlich besser kannten als ich, ein gelernter Theologe. Solche Menschen auf dem Corso zu treffen ist wohltuend und macht unsere Teilnahme an diesem Event auch auf diesem Weg äußerst sinnvoll.“

Beim Bibel-Koran-Quiz machten wir ähnliche Erfahrungen. BesucherInnen, die sich ungefragt als „nicht religiös“ outeten, tüftelten ebenso eifrig diskutierend an den Fragen wie praktizierende Christen und Muslime. Interessant waren vor allem jene Textstellen, die sich auf menschliche Werte bezogen, wie die Achtung alter Men­schen. Ganz offensichtlich existiert ein Bedürfnis, über Religion, die häufig ins Private verdrängt wird, niederschwellig im öffentlichen Raum ins Gespräch zu kommen. Fordert nicht Jürgen Habermas: „In ihrem öffentlichen Vernunftgebrauch müssen sich säkulare und religiöse Bürger auf Augenhöhe begegnen können.“? Hier, inmitten eines Straßenfestes mit 250 000 Besuchern, scheint dies im Kleinen zu gelingen.

Was den Geist des Projekts Kreis der Religionen ausmacht, teilt sich auch ohne verbalen Austausch mit: „Was die Passanten sehen und erleben, sind gläubige Menschen verschiedener Kulturen, die sich den Stand und die Brotzeit teilen, die einander helfen beim Aufbauen und Herrichten“, meint Michael Steinbacher, Pastoralreferent im Pfarrverband Altschwabing und Mitglied der Freunde Abrahams. Nicht nur am Infotisch seiner Gemeinde war er präsent. Ein Katholik, der die muslimischen „Nachbarn“ wegen eines seltsamen Besucherkommentars zum Rama­dan verteidigt? Auch das ist der Kreis der Religionen.

Einmal erkundete Steinbacher das nördlich von uns gelegene Areal: „Groß aufge­macht sind die Stände und Bühnen jener Gruppierungen, die mit oft recht drasti­schen Texten und Bildern postulieren, dass es so etwas gar nicht geben kann: fried­lich respektvolles Miteinander unterschiedlicher Religionen. Die wortreich vertreten, dass nur unaufgeklärte und naive Menschen religiös sein können. Die dafür kämp­fen, Religion zu marginalisieren, am besten ganz abzuschaffen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns in unserer Verschiedenheit als Kreis der Religionen präsen­tieren: unspektakulär, aber echt; ohne Polemik, dafür mit Herzblut; mit viel Geduld und einiger Tapferkeit angesichts mancher offensiver oder verletzender Anwürfe.“

Summa summarum blicken wir auf ein sehr gelungenes Wochenende zurück. Die am Kreis der Religionen beteiligten Menschen sind als Repräsentanten der Religions­pluralität unserer Stadt gut zusammengewachsen.

Die Vorbereitungen für den Corso 2019 beginnen in Kürze. Möge das Projekt ein Segen für München sein, so Gott will!

Ein großer Dank gebührt den StandbetreuerInnen, die Ideen eingebracht, diskutiert und geschleppt haben und allen KollegInnen im Kreis der Religionen für die freundschaftliche Zusammenarbeit!


Kein Ende in Sicht

Nachgedanken zu Prof. Leimgrubers Vortrag „Der christliche-islamische Dialog: gestern, heute, morgen“ – von Brigitte Hutt

Wenn man sich in stetigem Bemühen um eine Sache befindet, ist es oftmals hilfreich, innezuhalten und Zwischenbilanz zu ziehen. Genau das hat Leimgruber in gewohn­ter Sorgfalt getan. Er wies nach, dass die Akzeptanz der jeweils anderen Religion im Mittelalter von einzelnen Inseln (Bagdad, Cordoba) ausging, dass die Aufklärung eine vernunftgeprägte Sichtweise auf den Islam brachte, die im 2. Vatikanischen Konzil in eine Wertschätzung mündete, die bis heute nachwirkt. Dialog findet jetzt auf allen Ebenen der Gesellschaft statt: im Alltag, wo Christen und Muslime ihr Leben oft genug im Austausch gestalten müssen (Erziehung, Pflege etc.), in Kommis­sio­nen und inzwischen auch vermehrt an Lehrstühlen für Islamwissenschaften. Das geht hier in Europa naturgemäß von der christlich geprägten Gesellschaft aus, wird aber von muslimischen Gemeinschaften und Gelehrten oft und gern aufgegriffen. Doch die Gegenwart, vor allem nach „9/11“, hat auch Rückschläge, Ernüchterung und erneuerte Feindbilder gebracht. Aber es zeigt sich, dass die Dialogbestrebungen inzwischen so in der Gesellschaft verankert sind, dass die Rückschläge sie treffen, sie wandeln – aber sie nicht beenden. Das war aus Leimgrubers Ausführungen deutlich herauszuhören.

„Ich bin kein Prophet“ – so leitete er die Gedanken für den Abschnitt „Morgen“ ein. Doch seine Perspektiven und Forderungen sind realistisch und machen Mut. Er sprach von der Notwendigkeit gründlicher theologischer Klärungen, aber auch von einer Selbstverpflichtung (aller Religionsangehörigen) zu Gewaltfreiheit, von gegen­seitigem Anteilgeben an geistlichen Reichtümern, von der Möglichkeit, sich vom Fremden bereichern zu lassen. „Es liegt noch ein weiter Weg vor uns“, sagte Leimgruber. Aber der Vortrag hat gezeigt: Dieser Weg ist lohnend.


A Muslim, a Christian and a Jew

Ausstellung (noch bis 21.10.2018) und Podiumsdiskussion im Jüdischen Museum –
Impressionen von Brigitte Hutt

Da mühen wir uns all die Jahre im interreligiösen Dialog ab mit Veranstaltungen und Veröffentlichungen und werden kaum wahrgenommen. Und dann kommt da Eran Shakine, ein Künstler, nach eigener Aussage nicht religiös, zeichnet drei un­unterscheidbare Strichmännchen in die skurrilsten Situationen hinein, nennt sie Muslim, Christ und Jude, und schon hat er die öffentliche Aufmerksamkeit. So etwa lautete das Statement von Professor Wimmer in der Podiumsdiskussion zur Ausstellung am 13. Juni 2018.

Was ist denn das Besondere an diesen zylindertragenden Figürchen, die Seilschaften bilden, einander die Hände reichen oder auch mal den Rücken zuwenden, sich erstaunt von einem Hündchen namens „Happyness“ verfolgt sehen (oder es eben gerade nicht bemerken), sich im Weltraum, aneinandergebunden, sehr allein fühlen? Gerade das Fehlen von „typischen“ Merkmalen ist es, keines von ihnen ist eindeutig, kann abgestempelt werden. Sie sind nicht identisch, es gibt helle und dunkle Schuhe, kurze und lange Bärte. Aber sie sind gleichwertig, alle Rangord­nun­gen und Rivalitäten sind ausgelassen, sie sind reduziert auf drei Menschen, drei Suchende. Es wäre sogar denkbar, sie umzutiteln, beispielsweise: ein Glaubender, ein Atheist, ein Humanist, oder: ein Hetero, ein Transgender, ein Schwuler.

Eines der Bilder, die im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion standen, heißt „M.C.J. deciding to live on critical thinking and hope“. So könnte die Botschaft lauten, die wir mitnehmen in unseren Alltag, nicht nur in den interreligiösen, sondern in jeden Dialog: einen Pakt schließen mit jedem, der bereit ist, kritisches Denken zu üben und Hoffnung mitzutragen, unabhängig von den Quellen, aus denen er sie schöpft. Stefan Wimmer möchte als drittes Standbein noch die Wertschätzung hinzufügen, erklärte er, und dann haben wir eine Vision, ein Modell für das Zusammenleben. Man muss nicht immer gleich die Welt retten, so Erkan Inan vom MFI, manchmal reicht es, erst einmal miteinander Kaffee zu trinken. Einen Anfang machen. Freund­schaften pflegen, nicht zwischen Religionen oder Nationen, sondern zwischen Men­schen. Schubladendenken abschaffen. Und: den Humor nicht vergessen. Das lehrt uns Eran Shakine.

Empfehlenswert auch ohne Ausstellungsbesuch ist der Begleitband:

Eran Shakine: A Muslim, a Christian and a Jew Knocking on Heaven’s Door

«Wenn man all das entfernt, was wir nutzen, um uns voneinander abzugrenzen, haben wir alle das gleiche Grundbedürfnis: glücklich zu sein.» (Eran Shakine)

Edition Jürgen B. Tesch; 96 Seiten mit 44 Abbildungen. Hirmer Verlag München 2018, ISBN 978-37774-3049-2, € 9,90.


Stadtjuden und tanzende Derwische
Tagesausflug Fürth und Nürnberg am 21. Juli 2018

von Stefan Jakob Wimmer

„Und dahinter musst du dir das düstere Fürth denken, wo ich geboren und Kind gewesen bin, eine Stadt von so trostloser Nüchternheit, als läge sie im amerika­nischen Mittelwesten“ – derart kritisch stellte Jakob Wassermann (1873-1934) in seinen Schriften seine Geburtsstadt dar, und Wassermann war zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der meistgelesenen Autoren in Deutschland. Obwohl unser Tages­ausflug auf den einzigen richtig verregneten Tag dieses Hitzemonats Juli fiel, konnten wir seine Einschätzung absolut nicht nachvollziehen. Eingebettet zwischen dem stattlichen Rathaus, dessen Turm aussieht, als gehörte er in die Toskana, und idyllischen kleinen Fachwerkhäusern, liegt das Jüdische Museum Franken. Angefan­gen von einer original erhaltenen Mikweh, einem Ritualbad im Kellergewölbe, wird das vergangene Leben der Juden im „fränkischen Jerusalem“ dokumentiert. Dem kritischen Sohn der Stadt Jakob Wassermann ist ein ganzer Raum gewidmet. Im kürzlich erst eröffneten modernen Anbau thematisierte eine Sonderausstellung mit dem Titel „Cherchez la femme“ die Bedeutung von Verhüllung und religiöser Kopfbedeckung für Frauen in Judentum, Christentum und Islam.

Womit die Überleitung zu unserem zweiten Tagesziel gegeben war: In der Nachbar­stadt Nürnberg bereitete uns die Sufi-Gemeinschaft des Mevlevi-Ordens einen herzlichen Empfang in ihren orientalisch eingerichteten Räumen. Scheich Süleyman Wolf Bahn, der Herkunft nach ein Tiroler, der Ausbildung im anatolischen Konya nach ein autorisierter Lehrbeauftragter für Derwische, führte uns in das Denken des deutschen Ordenszweigs ein. Dem gehören Muslime und Nicht-Muslime an, und zu dem anschließenden Dhikr-Ritual war eingeladen mitzumachen, wer immer wollte. Zwei Derwische, eine Frau und ein Mann, vollführten dazu das berühmte „Kreisen in Gott“.

Wie ein Kreis schloss sich damit auch dieser rundum abrahamische Tag mit Freunden. Zu verdanken war er unserem Mitglied Otto Schmitz aus Fürth, auf dessen Anregung der Tagesausflug zurückging und der vor Ort engagiert um die Gruppe bemüht war, unserer 2. Vorsitzenden Yvonne Baur-Saleh, die sich mit engen persönlichen Kontakten um den Besuch bei den Sufis bemüht hatte, und natürlich unserem bewährten „Tagesausflugsbeauftragten“ Dr. Manfred Hutt für die Organisation! יישר כוח , yishar koach, „Er (Gott) stärke eure Kraft!“, und جزاكم اللهُ خيراً, dschazakum Allah khayran, „Gott belohne euch mit Gutem!“

 


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Aus München und Umgebung

Mein Glaube, dein Glaube

Impulsvortag von Yvonne Baur-Saleh am 18.2.2018 in St. Anna

Im Rahmen der Internationalen Münchner Friedenskonferenz, einer Alternativ­ver­anstaltung zur sog. Münchner Sicherheitskonferenz, findet alljährlich ein Friedens­gottesdienst statt. Inge Ammon, Mitbegründerin des Friedensgottesdienstes und Mitglied der Freunde Abrahams, hielt die Begrüßungsrede, auf die dieser Beitrag folgte:

Im Namen unseres Herrn, des Barmherzigen, des Erhabenen, des Lichts!

Liebe Inge, liebe Friedensfreunde, assalamu alaikum und Grüß Gott!

„Mein Glaube, dein Glaube“, so ist der Gottesdienst überschrieben, in dem wir heute gemeinsam für den Frieden beten. Diesem Motto nähere ich mich auf drei unterschiedlichen Wegen und lade Sie und Euch ein, mich ein paar Schritte zu begleiten.

Erster Zugang:

Mein Glaube, dein Glaube! Da höre ich als Freundin Abrahams natürlich gleich das Stichwort „Interreligiöser Dialog“. Wir besuchen Münchner Religionsgemein­schaften, kommen miteinander ins Gespräch und entdecken die unterschiedlichsten Formen des Gebets. Wie beeindruckend sind die Sikhs mit den Lobgesängen auf den Schöpfer in ihrem farbenfrohen Gebetsraum oder die Quäker, die im Verzicht auf Ritus und Liturgie in der „Stillen Andacht“ das göttliche Licht erfahren! Beim Besuch einer orthodoxen Kirche spricht aus einer Marienikone die Frömmigkeit der Nonne, die sie in fortwährendem Gebet gestaltet hat.

Wenn die Begegnungen von einer Haltung der vorbehaltlosen Offenheit und des Respekts unter Bewahrung der eigenen Identität getragen werden, dann kann Dialog friedensstiftend wirken. Die nötige Gelassenheit schenkt mir die koranische Aussage „Und hätte Gott gewollt, Er hätte euch sicherlich zu einer einzigen Gemeinde gemacht…“ (Sure 16, Vers 93).

Dass auf Augenhöhe geführte Dialoge der gesamten Menschheit dienen, brachte Papst Johannes Paul II. sehr schön zum Ausdruck: Als er 2001 in Damaskus die Omayyadenmoschee besuchte, sprach er von „gegenseitigem Verstehen, in Partner­schaft um des Wohls der menschlichen Familie willen“.

Zweiter Zugang:

Mein Glaube, dein Glaube! Ist meine persönliche religiöse Überzeugung der vor­ran­gige Beweggrund, mich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen? Gewiss, die heiligen Schriften motivieren, ökologische, soziale und politische Verantwortung zu übernehmen. Dennoch: Wenn ich Leserbriefe und Flugblätter verfasse, mich in der Umweltbildung engagiere, an Mahnwachen oder am Ostermarsch teilnehme, dann handle ich nicht, weil ich in einer bestimmten Religion verortet bin, sondern qua meines Mensch-Seins. Eben als Teil der menschlichen Familie. Interessanterweise lautet im Koran über 300 Mal die Anrede Gottes: „Ya ayjuhal nas, oh du Mensch­heit!“ Begegnen wir uns in Achtung aller Verschiedenheit als Menschen, dann sind wir stark für gemeinsames Handeln.

Dritter Zugang:

Mein Glaube, Dein Glaube! Erst ich und dann du? Klingt unhöflich, denke ich spontan. Aber: Tatsächlich muss ich bei mir anfangen! Mein Herz polieren, indem ich es von allem reinige, was nicht Gott ist. Dies lehrt Maulana Rumi und Meister Eckhardt beschreibt das Gleiche, wenn er sagt: „Tue alles von dir hinweg, was nicht Gott ist, und es bleibt nur Gott übrig.“ Wer sein Herz aufrichtig reinigt, verstärkt die Demut vor unserem Herrn und zähmt das Ego.

Ja, man muss bei sich beginnen, so sieht es auch Dorothee Sölle, die große evan­ge­lische Theologin und Dichterin, in ihrem programmatischen Werk „Mystik und Widerstand“. Für sie lebt die mystische Empfindlichkeit im Alltag „aus dem Staunen über die Schönheit und dem Erschrecken über die Ungerechtigkeit der Welt“. Un­trennbar verbunden sind „Die Hinreise zur Entäußerung und Hingabe des Ich“ und „die Rückreise mitten in diese Welt“. Somit ist die „Solidarität der menschlichste Aus­druck der Gottesliebe“. Anders gesagt, ist eine mystische Wahrnehmung der Welt keine New-Age-Wellness, sondern eine revolutionäre Haltung, denn die Wen­dung nach innen nährt die Sensibilität für Unrecht.

Wenn wir uns als Menschen begegnen, unsere Religionen als komplementär betrachten und aus Herzensarbeit friedenspolitisches Handeln erwächst, dann sind „mein Glaube und dein Glaube“ wie zwei Finger an der gleichen Hand.

Wer die Geste mag, möge hierin das Friedenszeichen sehen. Assalamu Alaina, der Friede sei mit uns!


Alles Gute zum Geburtstag, Freistaat Bayern!

von Stefan Jakob Wimmer

Auch die Freunde Abrahams widmen dem 100. Jubiläum der Gründung des Freistaates Bayern eine Veranstaltung: Der ehemalige Landesbischof und Mitglied in unserem Kuratorium Dr. Johannes Friedrich wird das Verhältnis „Der Freistaat Bayern und die Religion(en)“ thematisieren (siehe Hauptvortrag).

Von den sicher vielfältigen Erinnerungsveranstaltungen im Umfeld des Jahrestages am 8. November möchte man wünschen, dass vor allem auch der Umstand bewusst gemacht wird, dass die Bairische Republik, der Volks-und Freistaat, von einem jüdischen Atheisten aus Berlin ins Leben gerufen wurde. Und nein – das ist eben nicht, wie es gerne dargestellt wird, scheinbar widersprüchlich oder unvereinbar mit der Geschichte des Landes und dem Wesen seines Volkes!

Die Archäologie lehrt uns, dass die Bajuwaren als ein Mischvolk entstanden, aus einem romanisch-keltischen Substrat, das von germanischen Migranten überlagert wurde, Goten, Langobarden, Franken, Alemannen, und dazu kamen im Osten noch Awaren und Slawen (siehe dazu „Ethnogenese im Vergleich“, Blätter Abrahams 15, 2015, S. 71-80). Daraus entstand im 5. Jahrhundert ein Stammesherzogtum, in dem dann allerdings keltische und römische Religion, sowie alle nicht-katholischen Christen, wie die Arianer, mit Gewalt ausgemerzt wurden.

Zum Kurfürstentum wurde Bayern 1623, wieder im Zuge eines Glaubenskrieges, des Dreißigjährigen, der vor genau 400 Jahren seinen Anfang nahm. Der Katholizismus wurde zum Nationalkult gemacht. Auf den Münzen des Landes trat anstelle des Staatswappens die Muttergottes. Kurfürst Maximilian I. trug mit Schwert und Kreuz einen blutigen Krieg gegen die ungläubigen Lutheraner aus und zwang dem Land religiösen Fundamentalismus auf: Religionspolizei zur Einhaltung der täglichen Gebetszeiten sowie der Fastenzeit; Rosenkranzpflicht und Muttergottesdar­stellungen verpflichtend über jedem Hauseingang. Protestantische Wiedertäufer wurden ertränkt, Hexen verbrannt; Juden waren schon lange vorher vertrieben.

Es folgt Gott-sei-Dank auch in Bayern die Aufklärung, und das Königreich entsteht 1806 im Zeichen von Säkularisation und politischer Entmachtung der Kirche. Die Schöpfer des neuen Multikultireichs aus Altbayern, Franken und Schwaben, allen voran Graf Montgelas, waren französischen Idealen und freigeistigen Strömungen zu­ge­wandt, vielleicht auch dem Freimaurertum und Verwandtem wie den Illumina­ten. Juden wurden nun, vor 200 Jahren, legalisiert, Protestanten sogar den Katho­liken gleichgestellt.

Der letzte Wittelsbacher König Ludwig III. lässt Maria im Zuge des Weltkrieges von einem Papst namens Benedikt XV. (der kein Bayer war) ganz offiziell zur Patrona Bavariae „erheben“ (1917). Dann also Kurt Eisner und seine „unabhängige Sozial­demo­kratie“, dann die kurze, heftige Räterepublik, dann rechter Terror, pseudo­germanisches Nazitum, versagendes Christentum, Neuanfang:

„Ange­sichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern, gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung.“
(Präambel der Bayerischen Verfassung von 1946)

So facettenreich und wechselvoll wurde unsere Identität geprägt – kein Wunder, dass das nicht jeder überblickt. Das Wappen und die Fahne Bayerns kommen sehr gut ohne Kreuz aus. Und die „mehr als tausendjährige Geschichte“ lehrt in summa, dass neue Komponenten in der Bevölkerung auszugrenzen immer wieder in leidvolle Zeiten geführt hat. Wer sie willkommen heißt, der bleibt Bayerns Identität treu!


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Die gute Nachricht

Interreligiöse Unterstützung für betende Muslime

Es ist ein echter Teufelskreis, der Muslime in München seit dem vorigen Sommer zunehmend bedrängt: Wegen der Schließung von immer mehr Moscheeräumen im Bahnhofsviertel wurden die verbliebenen Moscheen im innerstädtischen Bereich, darunter das MFI in der Hotterstraße, so stark überfüllt, dass auch dort aus Sicher­heits­gründen keine öffentlichen Freitagsgebete mehr stattfinden konnten. Kirchliche Räume wurden daraufhin den Muslimen zur Verfügung gestellt, erst von den Jesuiten von St. Michael, dann auch andernorts. Dabei erwies sich als besonders hilfreich, dass sich Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde bei der Suche nach solchen provisorischen Möglichkeiten stark engagierten, allen voran Stadtrat Marian Offman. Wie manch andere Nicht-Muslime demonstrierte er bei diesen Freitags­gebeten persönlich Anwesenheit. – Inzwischen ist das Problem der Muslime keines­wegs gelöst. Doch es hat sich ein Kreis von überwiegend jungen Musliminnen und Muslimen mit Jüdinnen und Juden formiert, die sich regelmäßig treffen, unter der Initiative von Erkan Inan vom MFI und Anita Kaminski von der IKG. Echtes abrahamisches Miteinander mitten in München!

                              

Frieden schaffen kann so einfach sein!

Im April 2018 wurde er Premierminister von Äthiopien: Abiy Ahmad – Sohn eines muslimischen Vaters und einer christlichen äthiopisch-orthodoxen Mutter. Er selbst ist protestantischer Christ – ein Umstand, von dem viele meinen würden, dass das gar nicht ginge. Die erste gute Nachricht ist: Seine Religion ist in Äthiopien kein beherrschendes Thema. Vielmehr bewegt die Menschen, was er in kürzester Zeit bewirkt hat: den herrschenden Ausnahmezustand aufgehoben, politische Gefan­gene amnestiert und Reformen auf vielen Gebieten in die Wege geleitet. Vor allem beendete er die seit einem blutigen Krieg vor Jahrzehnten andauernde, erbitterte Feindschaft mit dem Nachbarland und Erzfeind Eritrea – einfach indem er ohne Forderungen auf den eritreischen Präsidenten zuging und mit ihm vereinbarte, den Streit sein zu lassen. Diplomatische Beziehungen wurden vereinbart, die Grenzen geöffnet, und Menschen, die seit vielen Jahren voneinander getrennt waren, besuchen sich. – Zur Nachahmung empfohlen!


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Buchtipps

Imam Benjamin Idriz:
„Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat …“

Dr. Benjamin Idriz, Mitglied im Kuratorium der Freunde Abrahams, hat sich in seinem neuen Buch den Hadithen zugewandt, also einer auch innerislamisch stark debattierten Materie. Denn oft wird der Missbrauch des Islam mit vorgeblichen Aussagen des Propheten verschleiert – und darauf stürzen sich dann jene, die den Propheten verspotten und verachten. Es kommt somit Muslimen ebenso wie Nicht­muslimen zugute, wenn ein deutschlandweit prominenter, anerkannt ausgebildeter und in islamischer Theologie promovierter Imam auf seine Weise darstellt, was wirklich vom Propheten Mohammed vorgegeben wurde.

Man mag diesem Buch wünschen, dass es in jeder Moschee aufliegt und in jedem Klassenzimmer, in dem von Islam die Rede ist, dass jeder Innenminister einen Blick hineinwirft und jeder, der bisher glaubte, schon genug über den Propheten Mohammed gehört zu haben.

Edition Avicenna, München 2018, 139 S., ISBN 978-3-941913-23-3, € 7,90

 

Theologie des interreligiösen Dialogs

Themenheft der Münchener Theologische Zeitschrift, hgg. von Markus Vogt und Martin Thurner, 69. Jahrgang, Heft 2, 2018

Die wissenschaftliche Zeitschrift der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU widmet ihr aktuelles Heft der Theologie des interreligiösen Dialogs. Wie wir in der Abrahams Post berichteten (Heft 31 Herbst/Winter 2017/18), war an der Fakultät in Zusammenarbeit mit der Eugen-Biser-Stiftung die Einrichtung eines gleich­nami­gen Studiengangs geplant. Judith Fröhlich, Vorstandsmitglied der Freunde Abra­hams, arbeitete im Rahmen einer Projektstelle an der Vorbereitung. Die Vortrags­veranstaltungen, die in diesem Zusammenhang, aber auch darüber hinaus, an der Fakultät stattfanden, werden in dem Heft dokumentiert und ergänzt durch weitere Beiträge. So macht das Heft anschaulich, wie aktuell, brisant und wünschenswert für die LMU ein entsprechender Studiengang wäre, gegen den sich die Fakultät jedoch dann schließlich entschieden hat. – Am Rande werden auch die Freunde Abrahams, die Manfred Görg 2001 an der Fakultät gründete, erwähnt (Einführung, Seite 112).

EOS Verlag Erzabtei St. Ottilien, 263 S., ISSN 0580-1400, € 12,–


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